Sebastian Christoph Jacob Schauspieler


"O werft den schlechtern Teil davon hinweg,
Und lebt so reiner mit der andern Hälfte."
William Shakespeare

Geschichte des Schauspielers und seine Entwicklung

Die Suche nach dem Ursprung der Schauspielerei führt unseren Blick zu den frühesten Epochen der Menschheitsgeschichte. In der Steinzeit spielten Menschen in Riten überlebenswichtige Handlungen nach wie zum Beispiel die Jagd. Hinter Bemalungen und Masken vermochten sie sich in einen Urzustand zu versetzen, der die Hemmungen reduzierte, welche sich durch ihr fortschreitendes Bewusstsein und die Entwicklung zu geistiger Sensibilität vor die Ausübung primitiver Vorgänge stellte. Es gibt viele frühe Zeugnisse von Masken, Zeichnungen und ethnologische Beobachtungen, die den Zusammenhang zu jagdbaren oder gefährlichen Tieren und Naturvorgängen wie den Sonnenlauf, Niederschlag oder Fruchtbarkeit belegen. Die Verkörperung von Dämonen und Göttern, die in den Vorstellungen des Menschen in ihrem Innern lebten, wurde bei allen indigenen Völkern beobachtet.

Als die Menschen begannen sesshaft zu werden, der Besitz anfing ihr Sein einzunehmen und durch Eroberungen und Feindschaften der Abstand unter ihnen immer größer wurde, mussten sie den Zugang zu anderen durch gegenseitiges Verständnis suchen. Sie wollten wahrhaft lebendige, ihnen fremde Wesen Verkörpern um diesen und damit sich selbst wieder näher zu kommen. Die mit Feindschaften verbundenen negativen Erlebnisse konnten so aufgearbeitet und überwunden werden. Dafür nutzten sie ihr Einfühlungsvermögen, die entscheidende Qualität des Schauspielers.

Amphitheater von Epidavros, 300 v. Chr.

Ihre erste große Blüte erlebte die Schauspielkunst in der griechischen Antike. Zu Beginn dieser Epoche trugen Schauspieler in der Regel noch Masken. Menschengruppen wurden in Chören dargestellt und große Persönlichkeiten wurden durch die Benutzung von Stelzen in ihrer Wichtigkeit hervorgehoben. Durch die Tragödienspiele des alten Griechenlands wurde bereits die eigene Geschichte aufgearbeitet. Diese Theaterereignisse waren von sehr großer Wirkung und trugen zu großem Selbstbewusstsein bei. Der Vers, mit seinem darstellerischen Reichtum, hat in dieser Zeit seinen Ursprung. Solche Traditionen, in welchen das Theater ein Ort geistiger Konzentration war, fanden in der Zeit des europäischen Mittelalters und in der Frühneuzeit vor allem deshalb keine Fortsetzung, weil es, als Hauptort schauspielerischer Betätigung, durch den Machtmissbrauch der Kirche, welche zu dieser Zeit jede Form von Aufklärung ablehnte, streng geächtet wurde. Schauspielerische Betätigung war allenfalls als niederes Possenreißen von Gauklern möglich, die als Vaganten die Jahrmärkte bereisten. So wurde nicht zum besseren Verständnis der Menschen, sondern zu deren Blendung und Begeisterung beigetragen.


Willem C. Duyster, Fastnachtsnarren, um 1620, Staatliche Gemäldegalerie Berlin

"... mitten in dem Strom, Sturm und, wie ich sagen mag, Wirbelwind der Leidenschaft müsst ihr euch eine Mäßigung zu Eigen machen, die ihr Geschmeidigkeit gibt..." Hamlet, Rede an die Schauspieler, William Shakespeare

Nach der Zeit der Aufklärung entwickelte sich, zunächst in den Hoftheatern und Opern, die Möglichkeit zu spezialisierter schauspielerischer Tätigkeit. Sehr früh bereits in England mit dem Erstarken des Bürgertums durch das elisabethanische Theater und in Italien mit der Weiterentwicklung der Commedia dell' arte. In Deutschland geschah dies deutlich später. Das Hoftheater verlangt mit seiner vorwiegend auf Repräsentation und Festlichkeit zielenden Kultur noch nach einem Schauspieler, der eher deklamiert als verkörpert, eher vorträgt als spielt. Erst in der Gegenbewegung entsteht der Wunsch nach natürlicher Empfindsamkeit der Charaktere. Mit den Dramatikern der Weimarer Klassik entsteht ein neues, erhabenes Verständnis von der Aufgabe und dem Können des Schauspielers.

"...Seid auch nicht allzu zahm, sondern lasst euer eigenes Urteil euren Meister sein: passt die Gebärde dem Wort, das Wort der Gebärde an; wobei ihr sonderlich darauf achten müsst, niemals die Bescheidenheit der Natur zu überschreiten. Denn alles, was so übertrieben wird, ist dem Vorhaben des Schauspiels entgegen, dessen Zweck sowohl anfangs als jetzt, war und ist, der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihre eigenen Züge, der Schmach ihr eigenes Bild und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen..."
Hamlet, Rede an die Schauspieler, William Shakespeare

Seit dem 20. Jahrhundert wird die klassische Ausrichtung schauspielerischer Tätigkeit und Fähigkeit wieder mehr und mehr in Frage gestellt. Das Streben nach Form und wahrhaftiger Überwindung zur Persönlichkeit durch die Suche nach sensibler Einfühlung und Annäherung an eine Rolle und authentischem Spiel wird auch ganz programmatisch hinterfragt. Eine Reihe von Theaterpraktikern und -theoretikern beruft sich darauf, dass diese Ausrichtung schauspielerischer Tätigkeit historisch entstanden ist und keineswegs naturgemäß mit Schauspielen verbunden sei. Verfechter dieser Überzeugung fordern vom Schauspieler, auf der Bühne auf verschiedene Art sichtbare Distanz zu seiner Rolle und zum Stück einzunehmen, eine Person eher vorzuführen, als sich liebevoll in sie einzuleben und seinen eigenen, meist fixierten und bewertenden Standpunkt beizubehalten und diesen zu verdeutlichen.

"...Wird dies nun übertrieben oder zu schwach vorgestellt, so kann es zwar den Unwissenden zum Lachen bringen, aber den Einsichtigen muß es verdrießen; und den Tadel von einem solchen muß in eurer Schätzung ein ganzes Schauspielhaus voll von andern überwiegen. O es gibt Schauspieler, die ich habe spielen sehen und von andern preisen hören, und das höchlich, die, gelinde zu sprechen, weder den Ton noch den Gang von Christen, Heiden oder Menschen hatten und so stolzierten und blökten, daß ich glaubte, irgendein Handlanger der Natur hätte Menschen gemacht, und sie wären
ihm nicht geraten; so abscheulich ahmten sie die Menschheit nach..."
Hamlet, Rede an die Schauspieler, William Shakespeare

Wenn wir uns die vielen Tausend Jahre vergegenwärtigen, in denen sich die Schauspielerei ihren Weg bis in die heutige Zeit gesucht hat, fällt auf, dass der Schauspieler sich letztlich immer nur dann weiterentwickelt, wenn er versucht einen Berührungspunkt zu finden, der ihm das direkte Gespräch mit seinem Innern und seinen Mitmenschen erlaubt und so seine Rollen wahrhaftig verkörpert und zum Leben erweckt. Durch seine geistige Arbeit schafft er, über seinen Körper, durch die Art feiner Geschmeidigkeit und seinen Stimmklang, eine ganz direkte Antwort auf den seelischen und körperlichen Zustand seiner Rolle. Der einsichtige Schauspieler sieht in seiner Rolle einen Mitmenschen, durch dessen tiefes Verständnis unzweifelhaft immer eine ehrliche Auskunft über seine eigene Fähigkeit der Einfühlung sichtbar wird. Er offenbart damit vor allem seinen persönlichen Zustand und seinen Grad der Freiheit. In seiner Rolle sucht er das Wesentliche, dessen Vermittler und Fürsprecher er sein will und zu dessen Erkenntnis er beitragen will. Diese Bereitschaft und Fähigkeit öffnet die Tür für den Ort an dem der Mensch wirklich erreichbar ist: sein Inneres.

Entscheidend für die Qualität der wahrhaftigen Darstellung eines Menschen ist die Richtung, die ein Schauspieler bei der Arbeit an sich selbst und an seiner Rolle einschlägt. Es geht in erster Linie um die Klärung der Vorlage und Rolle an die sich der Schauspieler annähert und nicht um das Nutzen einer Rolle für die Darstellung seiner selbst. Die Beschäftigung mit der Gestalt und deren Darstellung durch das Instrument des Schauspielers, seines Körpers und seiner Stimme, ist ein sehr intimer Vorgang. Ebenso intim wie mit einem tatsächlich leibhaftigen, geliebten Menschen. Deshalb ist der Umgang des Schauspielers mit seiner Rolle, für ihn selbst, als auch für diese und damit für den Zuschauer, so bereichernd. Wahrhaftige Schauspieler sind Personen, die dieser Tätigkeit der Annäherung und Verschmelzung mit einer Rolle, mit künstlerischem Anspruch sowie auf der Grundlage eines Studiums und ausgiebiger Übung nachgehen und sich dabei nach der Anweisung einer geschriebenen Vorlage und daraus hervorgehenden Veränderungen der Erscheinung seiner selbst nach der verantwortlichen Weisung eines Regisseurs richten, um Baustein einer Geschichte zu sein, deren Ausgang, in der Regel, die Folge einer Auflösung bestimmter wesentlicher Konflikte ist.

Pieter Codde, Schauspielergarderobe, um 1635, Staatliche Gemäldegalerie Berlin

"...Und die bei euch den Narren spielen, lasst sie nicht mehr sagen, als in ihrer Rolle steht: denn es gibt ihrer, die selbst lachen, um einen Haufen alberner Zuschauer zum Lachen zu bringen, wenn auch zu derselben Zeit irgendein notwendiger Punkt des Stückes zu erwägen ist. Das ist schändlich und erweist einen jämmerlichen Ehrgeiz an dem Narren, der es tut..." Hamlet, Rede an die Schauspieler, William Shakespeare

In früheren Jahrhunderten war große Vielfältigkeit bei Mimen ganz üblich. Natürlich konnten Schauspieler auch Singen, Tanzen, Rezitieren, Fechten und vieles mehr. Manche schrieben sogar die Stücke für ihre Truppe, bauten Masken und nähten sich ihre Kostüme selbst. Ebenso entwarfen sie die Bilder und Einrichtungen für die Bühnen, auf denen sie auftraten. Auch das Schminken gehörte dazu. Ihr Interesse an den Menschen, welche die Berufe um sie herum ausübten und ihnen zur Geburt ihrer Rollen verhalfen war immer groß. Sie empfanden ihnen gegenüber große Anerkennung und suchten deren Nähe. Und es war ganz selbstverständlich, dass sie auch Musikinstrumente spielten. All diese Eigenschaften gehörten zum Beruf des Schauspielers. All dies war ebenso üblich, als auch Maler über die Kunst der Zusammensetzung von Farben gelehrt waren, diese auch herstellten und ihre Leinwände selbst webten und aufspannten. So zogen sich viele Musiker ihre Saiten selbst und noch früher bauten sie sogar ihre eigenen Instrumente. Da es bei der Schauspielerei um die unmittelbare Darstellung des Menschen geht, verbarg sich im Schauspieler schon früh der Traum eines Gesamtkunstwerks.

Der klassische Schauspieler, der sich auf der Suche nach Wahrhaftigkeit der von ihm dargestellten Menschen und seiner selbst befindet, will alles lernen, was die Darstellung seiner Rollen und die Bildung seiner Persönlichkeit bereichert. Es geht ihm darum, Mauern abzubauen und den Blick auf das Innere wieder zu ermöglichen. Durch seine klärende Arbeit wird er zum Anwalt seiner Rollen und seiner Mitmenschen. Er will nicht als Spiegelbild reiner Identifikation durch Hemmungslosigkeit begeistern und mitreißen, sondern sich stets zur Entwicklung überwinden, um ein Vorbild zu sein, welches die Menschen durch seine innere Stärke mitnimmt und ihnen Halt gibt.

"...Geht, macht euch fertig." Hamlet, Rede an die Schauspieler, William Shakespeare

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